Dance first. Think later.
GARTEN VON GODOT
Ein Theaterabend nach Samuel Beckett szenisch und dramaturgisch eingerichtet von Peter Kratz
– Ein Essay zur Inszenierung von Lena Fritschle –
Verlassenheit und Absurdität, Liebe und Gott sind die großen Themen Samuel Becketts, der das europäische Theater mit Stücken wie „Warten auf Godot“ so nachhaltig geprägt hat. An diesen zeitlosen Bühnenklassiker lehnte sich der Theaterabend „Garten von Godot“ an.
Mit einer Reihe von Einaktern Becketts und der Textcollage „Garten von Godot“ erkundete die Inszenierung von Peter Kratz die Weite des Beckettschen Universums – gleichsam von den Schwarzen Löchern der existentiellen Verlassenheit bis zu den funkelnden Sternen der Dialoge. So entstand ein Tableau, das viele Facetten Becketts zeigte. Quer durch den gesamten Theatergarten wechselten die Schauplätze im Lauf des Theaterabends: eine Wüstenlandschaft in gleißendem Licht, ein Nachtlager, ein Schaukelstuhl und ein verwilderter Garten. In diesem Universum wirkten Becketts Figuren wie Wanderer im Nirgendwo und Überall.
„Garten von Godot“ war ein Beckett-Abend, der die tiefen Fragen spielerisch leicht servierte. Stets auf der Suche nach einer Einheit aus Denken und Gefühl, Körper, Text und Geist. Stets auf der Suche nach einer Sprache, die ohne viele Worte auskam. Und die gerade dadurch Einblicke ins Innerste des Menschen gestattete, die Streiflichter auf den großen, grenzenlosen Garten des Lebens warf. Voll heiterer Distanz aufs Wesentliche konzentriert – ganz im Sinne Becketts. Rundum ein gelungenes Experiment, das auch bei Publikum und Presse auf großes Interesse stieß. Vielleicht sogar der Beginn einer Aufführungsreihe, die in Zukunft unter dem Oberbegriff „Garten von Godot“ weitere Autoren des experimentellen und absurden Theaters vorstellt.
Zeit, dass sie endet
Die Diskrepanz zwischen äußeren Gegebenheiten und innerlicher Verzerrung
Samuel Beckett – enge Räume, drückende Stille. Schemenhafte Schattenfiguren, abstrahierte Überreste. Eine Welt in Graunuancen, von der vergangenen, alles verschlingenden Katastrophe zeugend, der eine allgegenwärtige, diffuse Bedrohung eingeschrieben zu sein scheint. Kurzum: Zeigt die Natur ihr Gesicht, so ist es zur fratzenhaften Totenmaske erstarrt.
Einen solchen Stoff im Rahmen des Theatersommers umsetzen zu wollen scheint absurd? Ist es auch. Und gerade darum eine hervorragende Voraussetzung für Experimente mit dem „Theater des Absurden“, zu dessen prominentesten Vertreter der irische Schriftsteller zählte.
Die Darstellung des Absurden
Gleichgültig, ob man von diesem nun die „absurde Darstellung“ oder die „Darstellung des Absurden“ erwartet – glaubt man den Worten des Dramatikers Wolfgang Hildesheimer, so ist erstere Annahme auf Seiten des Publikums häufiger anzutreffen, welches sich weigere, das eigene Leben und Handeln als absurd zu betrachten, und daher in Scharen das Theater vorzeitig verlasse –, die vorübergehende Verwandlung des Cluss-Theatergartens in den „Garten von Godot“ verstand beide Positionen für sich zu nutzen und so das scheinbare Oxymoron „Endzeitstimmung im Grünen“ gekonnt zu demontieren.
Grundsätzlich ist absurdes Theater ein Theater des Unheimlichen, entstanden im Frankreich der Nachkriegszeit. Es zeigt den „zur Freiheit verurteilten“ Menschen als Schöpfer seines Geschicks für den Sinn seiner Existenz selbstverantwortlich. Unter der Last dieser Verantwortung vermögen seine Charaktere das sie umgebende Außen nur noch durch den Zerrspiegel ihrer Ängste, Zwangsvorstellungen und Wahnbilder wahrzunehmen.
So schöpft sich eine sinnentleerte, farb- wie freudlose Welt, in der auch Sprache längst nicht mehr der Kommunikation dient, sondern in als Dialogen getarnten, redundanten Monologen zum Folterwerkzeug mutiert, welches dem ewig Sinnsuchendenden das Schlagen zwischenmenschlicher Brücken und den damit verbundenen Halt verwehrt.
Eine garten-eden-eske-Naturkulisse
Erinnert man sich des „Akt ohne Worte I“, so genügte allein der Kontrast zwischen, schlussendlich in der Resignation – die sowohl als Sieg, den Ausstieg aus dem System, oder als Niederlage gewertet werden kann – mündendem, Überlebenskampf und der lebendig-grünen >>garten eden esken<< Naturkulisse, um der Pantomime einen grundsätzlichen Rahmen des Absurden zu verleihen und den Ursprung allen Elends in Wahrnehmung wie Verhalten des Protagonisten selbst zu markieren. Wo hätte die Diskrepanz zwischen äußeren Gegebenheiten und innerlicher Verzerrung besser zur Geltung kommen können, als in der Idylle eines blühenden Gartens?
Eine durchgängig liebevolle Perspektive
Eben dieses Spannungsfeld war es, das dem Ensemble ermöglichte, sich inhaltlich einer Interpretation des absurden Theaters zu widmen, die dessen Absurdität weit eher in den verhandelten Gegenständen, als in deren spielerischer Umsetzung verortet.
Gerade auf diesem Umstand fußte die Stärke der Liaison zwischen dem Theatersommer und Samuel Beckett, erlaubte er doch eine durchgängig liebevolle Perspektive auf die zu Schau gestellte Absurdität des Zwischenmenschlichen zu wahren.
Die durch den Garten irrenden Figuren sezierten Beziehungsgeflechte, Sehnsüchte, Ängste und Abhängigkeit so auf überraschend griffige Weise, ohne dabei einer Dramaturgie des Sinnhaften zu verfallen. Dennoch – oder gerade deswegen – fügten sich poetische Satzfetzen, sinnentleerte Handlungen und die Lebendigkeit der Kulisse zu berührenden Momenten und pointierten Schlaglichtern auf das alltägliche Handeln, deren eingeschriebenem Potential zur Selbstreflexion sich wohl die Wenigsten zu entziehen vermochten.
Basierend auf der positiven Resonanz und der ausgebliebenen, verweigernden Gartenflucht des Ludwigsburger Publikums stehen die Chancen gut, sich 2015 auf eine Fortführung dieses Experimentes freuen zu können – man darf gespannt sein, wessen Figuren den, unter diesem Titel als thematische Reihe angedachten, „Garten von Godot“ im nächsten Sommer zu neuem Leben erwecken werden.
(von Lena Fritschle – MA Dramaturgie Absolventin der ADK Baden-Württemberg, ThS 2014/2015)