Ein Viertel Jahrhundert

Ein Viertel Jahrhundert
Die Geschichte des Theatersommers 
Text zum 25. Jubiläum – von P. Kratz,C. Wolff, L. Fritschle

EIN GEWAGTES EXPERIMENT
25 Jahre ist es nun her, dass Venus, Adonis und der Eber durch das, damals noch urwüchsige, Dickicht des Cluss-Gartens jagten und so den Grundstein für das Konzept „Theatersommer“ legten. Quasi aus dem Nichts schufen Christiane Wolff und Peter Kratz die Freilichtspielstätte im Herzen der Stadt, deren künstlerische Leitung ihnen noch heute obliegt. Am Anfang war es ein gewagtes Experiment, doch mittlerweile hat sich der Theatergarten zu einem festen Bestandteil der Kulturszene von Stadt und Region etabliert, ist weit über die Stadtgrenze hinaus bekannt und beliebt. 

Begonnen hatte es 1991 mit Shakespeare und so ging es auch noch einige Jahre weiter, die Spielstätte wurde gar „Shakespeare-Garten“ genannt. Man war drauf und dran, eine Art „Shakespeare-Company“ des wilden Südens zu werden. Nahezu alle großen Werke des Briten standen in den 90er Jahren auf dem Spielplan. Nach „Venus, Adonis und der Eber“ folgten in den nächsten Sommern unter anderem „Hamlet & Othello“ im Zweikampf, Golfschläger schwingend „Romeo+Julia“, die „Kaufmänner von Venedig“ und die Liebeswirren der „Sommernachtsträume“. Auch „Wie es euch gefällt“ oder „Was ihr wollt“ wurden, ganz im Sinne des Meisters, kräftig gegen den Strich gebürstet. Das Publikum jedenfalls genoss die Werke Shakespeares, bis die Figuren des Briten in Gestalt von Strindbergs „Frl. Julie“ erstmals Gesellschaft bekamen. 

FRECH, RASANT, RESPEKTLOS
Wer damals tatsächlich Klassisches erwartete, war schief gewickelt: Kratz´ und Wolffs Versionen der Stoffe waren von Beginn an ebenso frech und rasant wie respektlos. Selbstbewusst bedienten sie sich der Sprache, Handlung und Charaktere des Originals, um ein fast gänzlich neues Stück mit eigenen, heutigen Akzenten zu kreieren. Dabei setzten ihre Bearbeitungen stets auf eine starke inhaltliche Verdichtung sowie die damit verbundene Reduktion des Ensembles und vertrauten auf dessen Fähigkeit, von einem Moment auf den anderen glaubhaft von der     einen in die andere Rolle zu schlüpfen. 

Im Zentrum der „Theatersommer-Bearbeitungen“ steht bis heute ein sehr körperbewusster, beinahe tänzerischer Zugang zu den Figuren, was den Schauspielern einiges an Virtuosität abverlangt. Ein besonders markantes Beispiel für die individuelle Stilistik und den unverwechselbaren Umgang mit den gewählten Vorlagen bieten die, in diesem Sommer erneut auf dem Spielplan stehenden, „Sommer-Nachts-Träume“.

WANDELBARKEIT ALS GRUNDPRINZIP
Mit Beginn des neuen Jahrtausends veränderte sich die bis dahin sehr erfolgreiche Zusammenarbeit des Leitungsduos Kratz und Wolff. Peter Kratz, der bisher neben der konzeptionellen, dramaturgischen Arbeit als Schauspieler vor allem die körperbetonte Theatersprache geprägt hatte, verlagerte seinen Schaffensschwerpunkt ebenfalls auf die Regie. 

KINDER- UND FAMILIENTHEATER
Und auch Christiane Wolff setzte in dieser Zeit einen neuen und für die Zukunft sehr wichtigen Akzent. Im Jahre 2000 ertönte mit Kiplings Dschungelbuch der Startschuss für eine weitere Sparte des ThS: das Kinder-/   Familientheater. Seit nunmehr 15 Jahren verwandelt Wolff die Helden Astrid Lindgrens, Otfried Preußlers oder Cornelia Funkes in Figuren aus Fleisch und Blut und sorgt dabei in typischer Manier dafür, dass während des Applauses der Blick von der Tribüne des Kindertheaters mit großen Fragezeichen in den Augen durch die Reihen der Verbeugenden wandert. Wo sollen all die Figuren hin verschwunden sein, mit denen man im Verlaufe der letzten Stunde so herzhaft mitfieberte?

So hatte man sich nach 10 Jahren quasi neu erfunden, der grundsätzlichen Philosophie tat dies jedoch keinen Abbruch. Vielmehr erlaubte dieser Prozess, die Spielstätte und den im Umgang mit ihr entwickelten Stil noch facettenreicher zu gestalten. Das künstlerische Spektrum verbreiterte sich durch die unterschiedlichen inszenatorischen Handschriften und die Zuschauerzahlen kletterten in die Höhe. Während Christiane Wolff weiterhin beweist, dass es möglich ist, auf den ersten Blick komödiantisch anmutende Stoffe mit nachhaltig berührendem Tiefgang zu inszenieren, bewegt sich Peter Kratz seither verstärkt im Bereich der tragischen, wenn auch nicht zwingend ‚dramatischen‘ Vorlagen. Seine  Inszenierungen von Hermann Hesses „Steppenwolf“ oder gar Franz Kafkas „Prozess“ etablierten eine weitere Säule der Spielplankonzeption: Literaturadaptionen.

FILM, LITERATUR, THEATER
Auch abseits des geschriebenen Wortes suchte man Inspiration und befand sich so unter den Ersten, die sich – bereits 2002 mit „Down by Love“ nach Jim Jarmuschs „Down by Law“ –  der Herausforderung stellten, aus dem Kino vertraute Erzählungen für die Bühne aufzubereiten. Mit Woody Allens „Purple Rose of Cairo“ konnte zum 20-jährigen Jubiläum 2010 erstmalig die deutsche Erstaufführung eines Filmstoffs realisiert werden. In den letzten Jahren wurde das Genre „Film und Theater“ weiter ausgebaut. Durch den Erfolg von Filmadaptionen wie „Himmel über Berlin“, „Eine Mittsommernachts-Sexkomödie“ oder „Harry und Sally“ stiegen die Zuschauerzahlen noch einmal deutlich von ca. 10.000 auf über 15.000 Besucher an. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung war die deutsche Erstaufführung von Truman Capotes „Frühstück bei Tiffany“ im Jahr 2014. 

Es spricht für das Duo Kratz/Wolff, dass sie sich bisher nicht auf ihren Erfolgen ausgeruht haben. Vielmehr wurden kommerzielle Erfolge stets dafür benutzt, sich neue künstlerische Freiräume zu erobern, die Rahmenbedingungen für die Schauspieler zu verbessern und die Infrastruktur weiter auszubauen. 

25 Jahre Theatersommer – das sind nahezu 50 Produktionen mit über 250 Figuren und rund 210.000 Zuschauern, die der Theaterinsel mitten in Ludwigsburgs Innenstadt die Treue gehalten haben. Und bisher ist, – Gott sei dank – auch nach einem Vierteljahrhundert kein Ende in Sicht.