Peters Welt
Rätselhaft, grotesk, banal und zauberhaft zugleich.
von Hans Peter Milling
Auf dem Weg durch die Schloßstrasse, ich hab’s eilig – mein Ziel, der Cluss-Garten. Ich bin etwas spät. Vorbei am Scala werfe ich ganz kurz einen Blick auf die Kinoreklame. Dann rechts einbiegen. Geschafft! Ich stehe im Biergarten, doch mein Freund ist noch nicht da. Oder schon wieder weg? Warten, verschnaufen . . . Als er nicht kommt, auch nach zehn Minuten nicht, bin ich erst mal sauer und gefrustet – was jetzt?
Ich stehe unter den hohen Bäumen und ertappe mich dabei, wie ich an den Bretterbuden vorbei, nach hinten schlendere, dorthin, wo der Garten ist und das Theater agiert. Hier wirkt Peter Kratz zusammen mit Christiane Wolff seit 25 Jahren, von 1991 bis 2002 als Schauspieler und ab 1998 dann auch in der Regie. Ich sehe an den Bäumen hängende witzige, teilweise groteske Fotos von Theaterszenen. Meine Stimmung beginnt ich zu verändern, je weiter ich in den Theatergarten vordringe. Ärger und Stress verflüchtigen sich. Hier beginnt eine andere Welt. Der kleine Pfad macht, direkt nach dem alten Kassenhäuschen, einen Rechtsbogen und dann sehe ich rechts die steil ansteigenden Zuschauerreihen und davor die Bühne mit den Kulissen.
Ja, das ist sie, Peters Welt. Rätselhaft, grotesk, banal und zauberhaft zugleich. Ich werde neugierig. Was soll die Badewanne mitten auf der Bühne, was der Galgen, der aus dem grünen Dickicht ragt, was die fünf Türen im Hintergrund? Ich erkenne deutlich: Peters Phantasie. Seine Einfälle und die Fähigkeit die Bühnenbilder in die Energie dieses Naturgeländes – Gebüsch, Bäume, Dickicht – einzupassen sind unnachahmlich. Ich weiß, dieses Stück möchte ich sehen! Schon jetzt bin ich – ohne jedes gespielte Theater – völlig entrückt, weg aus dieser Stadt, aus diesem Ludwigsburger Alltag.
Die „Erfolgsstory“ des Flüchtlingskindes Peter begann in der wahnsinnig aufregenden Weltstadt Schwieberdingen (als Peter das erzählt muss er herzergreifend gähnen, was er jedoch nicht als Affront gegen die Einwohner verstanden wissen will). Den erlernten Beruf als Elektriker hat er schon vor sehr langer Zeit an den Nagel gehängt. Er wurde also keineswegs „neben der Steckdose entdeckt“, sondern ist über einige „Umwege und Sackgassen“ beim Theater gelandet. Die erste Station war Mitte der Achtziger die Württembergische Landesbühne Esslingen. Eine Dramaturgin sah ihn auf der Straße spielen und lud ihn prompt zum Vorsprechen ein. Es folgte ein dreijähriges Engagement, das er heute als seine „Lehrjahre“ bezeichnet. Im Anschluss ging es zu Gastspielen ans Theater in München oder Freiburg. Doch dann kehrte er der Schauspielerei erstmal den Rücken zu und widmete sich den verheißungsvollen Anfängen einer Fernsehkarriere. Nach seiner Scala-Show „Kennen Sie mich?“ waren die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender der Rebublik auf ihn aufmerksam geworden und er wurde zu zahlreichen Pilotsendungen bei WDR, BR, SDR oder SWR eingeladen, um dort als Moderator für Unterhaltungssendungen auf Herz und Nieren geprüft zu werden. Doch das Format „netter Schwiegersohn von nebenan“ entsprach überhaupt nicht seiner Vorstellung von Kreativität und Fantasie. Also machte er sich im Sommer lieber auf mit seinem damaligen Freund Thomas Rothacker als Stepptänzer und Entertainer durch Sizilien zu tingeln, um dort eine ganze Reihe unvergesslicher Momente zu erleben. Aber je mehr er sich dem Entertainment verschrieb, desto größer wurde der Wunsch seine Schauspielltexte nicht nur zu Stimmstärkung dem thyrrenischen Meer entgegen zu brüllen (was ich gerne miterlebt hätte). Und nicht unerwähnt bleiben darf seine anarchistische Theaterphase, als er mit zwanzig Jahren zusammen mit seinem Jugendfreund Andy als „Max und Erwin“ durch die Lande zog (jener Andreas Klaue, der auch jetzt im Theatersommer wieder mit von der Partie ist und mit dem ihm bis heute eine tiefe künstlerische Seelenverwandschaft verbindet). Und die „Story“ wäre völlig unvollständig ohne die Stipendiats – Jahre bei Prof. David Esrig in München oder die mehrjährigen „Movement Studies“ bei Amos Hetz aus Israel zu erwähnen, die Peter ganz entscheidend in seiner Arbeit als Schauspieler und Regisseur vorangebracht haben.
Der Theatersommer hat sich seit 1991 kontinuierlich vergrößert; waren es zu Beginn gerade einmal 1.000 Zuschauer pro Saison, so sind es jetzt um die 17.000 „Schau- und Erlebnislustlustige“ pro Theatersommer. Ein derartiges Freilichttheater zu gestalten und zu leiten, stellte ihn immer wieder vor ganz neue Herausforderungen, die es zu bewältigen galt! All dies führte zu einem Theaterstil, der nicht nur in Ludwigsburg, sondern auch überregional einen sehr guten Ruf genießt und die erfreuliche Unterstützung durch den hiesigen Gemeinderat bewirkt. Was jedoch nichts daran ändert, dass nach wie vor fünfzig bis sechzig Prozent der Ausgaben eingespielt werden müssen – kein Zuckerschlecken. Wie der 1958 geborene Peter trotz Familie es schafft in den Sommermonaten 70 bis 80 Stunden pro Woche im Einsatz zu sein, ist mir ein Rätsel; das kann nur, wer seine Berufung, seinen Herzensberuf gefunden hat und lebt.
Als ich in Gedanken versunken aus dem Garten schlendere kommt mein Freund Wolfgang dann doch noch (wir hatten verschiedene Treffzeiten gespeichert); jetzt habe ich Gelegenheit ihn noch für den morgigen Abend zum Theaterbesuch zu überreden. Dazu kommt es dann erst einige Tage später, weil die geplante Vorstellung wegen heftiger Regengüsse „ins Wasser fiel“. Diese Vorstellung überzeugt mich erneut durch die exzellente Auswahl der Profischauspieler und den differenzierten Musikgeschmack Peters mit dem er für die Stücke stets eine sehr treffende Grundstimmung zu erzeugen vermag. Bleib uns noch lange erhalten, Peter!
von Hans-Peter Milling